Zum Projekt

Von Bettina Sarnes, Holger Sarnes

1996 bis 2009: Entstehung des Projekts

Im Zusammenhang mit der Entwicklung alternativer Möglichkeiten des Gedenkens und Erinnerns stellte die Künstlerin Sigrid Sigurdsson 1996 fest, dass es keine umfassende Übersichtskarte gab, auf der sämtliche nationalsozialistische Verbrechensorte verzeichnet waren. Ferner wurde klar, dass es immense Wissenslücken hinsichtlich des Lager- und Haftstättensystems gab. Auch wenn viele der Lager und Unrechtsorte der einschlägigen Forschung bekannt waren, so wusste man doch wenig über die Lebensbedingungen in ihnen. Sigrid Sigurdsson beauftragte daraufhin die Historikerin Cornelia Steinhauer mit der Erstellung einer Übersichtkarte, auf der alle Unrechtsorte markiert werden sollten. Es ergab sich erstmals ein Bild, das, basierend auf der vorhandenen Fachliteratur, das gigantische Ausmaß der Verfolgung und Vernichtung visualisierte.

Übersichtskarte Sigrid Sigurdsson 1998

Sigrid Sigurdsson: Übersichtskarte mit schwarzen Markierungen der Unrechtsorte. Kartengrundlage: Deutschlandkarte 1:1 Mio in den Grenzen von 1937. Mit Genehmigung des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie - Außenstelle Berlin Nr. 327/99 vom 8.11.99, Bearbeitung durch Cornelia Steinhauer.

Zugleich beinhaltete das Projekt auch die Idee der Ausschreibung eines Forschungsauftrags, der die Beteiligung einschlägiger wissenschaftlicher Institutionen an dem Projekt zur Folge hatte.

Diesem Konzept schloss sich 1998 das Karl Ernst Osthaus-Museum unter Leitung von Prof. Dr. Michael Fehr an. Mitarbeiter des Museums übernahmen die Erstellung einer Datenbank, welche zunächst nur als Register für die Karte fungieren sollte. Das Ergebnis, eine Deutschland-Karte mit ca. 2000 Markierungen sowie einem entsprechenden Register, wurde erstmals 1998 in Braunschweig im Rahmen der Ausstellung "Braunschweig - eine Stadt in Deutschland erinnert sich" und Anfang 1999 im Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen im Rahmen der Ausstellung "Sigrid Sigurdsson - Die Architektur der Erinnerung / Deutschland - ein Denkmal - ein Forschungsauftrag" gezeigt und publiziert.[1] Doch schon bald wurde die Notwendigkeit einer umfassenden Überarbeitung und Ergänzung ersichtlich. Die Möglichkeit, das Projekt über die Publikation im Internet einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, aber auch die technischen Möglichkeiten der dynamischen Bilderzeugung schienen geeignet, den Charakter der von Sigrid Sigurdsson auch in anderen Zusammenhängen eingerichteten "Offenen Archive" in einem neuen Medium weiterzutransportieren.[2] Und so wurde eine historische Karte Deutschlands in den Grenzen von 1941 gescannt und in Detailkarten aufgeteilt. In Verbindung mit einer neu konzipierten Datenbank entstand ein umfangreiches Kartenwerk, welches sowohl die einzelnen Orte der Verfolgung im Detail darstellt, als auch anhand von Übersichtskarten diverse Übersichten über die Komplexität des Lagersystems ermöglicht. Unter dem Titel „Deutschland - ein Denkmal – ein Forschungsauftrag. 1996 bis ...“ ist das Projekt seit dem Jahr 2000 sowohl in verschiedenen Ausstellungen als auch im Internet für die Allgemeinheit frei zugänglich. Es macht seitdem auf die vielen Zwangslager, in denen die Häftlinge unter KZ-ähnlichen Bedingungen Sklavenarbeit verrichten mussten, aufmerksam. Verweise auf die einschlägige Forschungsliteratur ermöglichen die nähere Beschäftigung mit dem jeweiligen Ort. Darüber hinaus macht das Projekt deutlich, dass - im Gegensatz zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern - einige Lagerarten aus dem Blickfeld der öffentlichen Erinnerung geraten sind.

Die Weiterentwicklung seit 2009

Die Datenbank beruhte in ihrer bis 2009 publizierten Fassung maßgeblich auf dem vom Internationalen Suchdienst (ITS) in Arolsen publizierten Gesamtverzeichnis der "Haftstätten unter dem Reichsführer-SS (1933-1945).[3] Das mit Hilfe des ITS erstellte und vom Bundesjustizminister zur Beweiserleichterung bei Anträgen auf Haftentschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz 1977 und 1982 herausgegebene, im Bundesgesetzblatt veröffentlichte "Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos"[4] wurde ebenfalls in die Datenbank eingearbeitet. Darüber hinaus wurde in sehr vielen Fällen auch die jüngere Forschungsliteratur berücksichtigt. So wurden viele Monographien zu den Konzentrationslagern und ihren Außenlagern, Publikationen zu Teilbereichen des Lagersystems, zu einzelnen Ländern oder Orten hinzugezogen.

Im Jahr 2009 erfolgte dann eine erneute Überarbeitung der Präsentation, die neben der Einführung einer englischsprachigen Version auch die Umstellung aller Ortsnamen im osteuropäischen Raum auf diakritische Zeichen beinhaltete, was die Suchmöglichkeiten auch für ausländische Besucher der Seite enorm verbessert. Ferner wurde die Datenbank inhaltlich weitergeführt: Seit Beginn des Projekts 1996 hat sich die Forschung intensiv um die Aufarbeitung des Lagersystems bemüht. Vor dem Hintergrund der Fülle der in letzter Zeit erschienenen Literatur musste nun eine Auswahl getroffen und die verwandten Quellen auf wenige Titel beschränkt werden. So existiert mit der von Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenem neunbändigen Reihe "Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager[5] " eine umfassende Übersicht über das nationalsozialistische Lagersystem, welche viele der bisher bestehenden Wissenslücken schließen konnte. Die Datenbank verweist in seinen Ortseinträgen auf die jeweiligen Bände dieser verdienstvollen Reihe.

Seit der Wiedereröffnung des Osthaus Museums Hagen 2009 ist die Arbeit in dem von Sigrid Sigurdsson im Osthaus Museum Hagen konzipierten Raum der "Architektur der Erinnerung" integriert. Sie ist inhaltlich und formal verbunden mit den von Dr. Martina Pottek und Dr. Nils Reschke erarbeiteten wissenschaftlichen Präsenzbibliotheken zu den Themen ‚Nationalsozialismus’ und ‚Gedächtnis und Erinnerung’.

Das Projekt wird seit Sommer 2011 von den beiden langjährigen Mitarbeitern Bettina und Holger Sarnes weitergeführt. Es hat sich im Laufe der Zeit zu einer festen Referenz hinsichtlich der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Lagersystems entwickelt. Wie die zahlreichen Anfragen, Hinweise und Berichtigungen, die das Projekt seit seiner Entstehung erhält, belegen, werden Datenbank und Kartenwerk bis heute sowohl von Privatleuten, in der politischen Bildungsarbeit als auch von einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen rege genutzt. Sowohl die in der Datenbank erstmals komprimiert zusammengestellten Daten als auch die Visualisierung der Entwicklung des Lagersystems anhand des Kartenmaterials stellen nach wie vor eine einzigartige Quelle dar - wie nicht zuletzt die Tatsache belegt, dass die Datenbank seit 2007 vom Bundesinnenministerium als Hilfsmittel zur Feststellung von Entschädigungsleistungen an ehemalige Verfolgte des Dritten Reiches genutzt wird. Überdies wird die Arbeit seit Oktober 1999 in der Dauerausstellung „Dokumentation Obersalzberg. Eine ständige Ausstellung des Instituts für Zeitgeschichte, München – Berlin“ in Berchtesgarden gezeigt.

Beständig inhaltlich ergänzt und erweitert, ist die Arbeit seit Februar 2012 nun auch wieder online einzusehen. Der Ausbau der Online-Version, die weitere Übersetzung, Überarbeitung und Erschließung der Daten unterliegt dabei, dem von Sigrid Sigurdsson angestoßenen Prozess folgend, als work in progress einem steten Wandel.

[1] Michael Fehr (Hg.):Sigrid Sigurdsson. Deutschland - ein Denkmal - ein Forschungsauftrag 1996 - 1998, Hagen 1998.

[2] Grundlegend zum Œuvre Sigrid Sigurdssons siehe Martina Pottek:Kunst als Medium der Erinnerung. Das Konzept der Offenen Archive im Werk von Sigrid Sigurdsson, Weimar 2007.

[3] International Tracing Service: Verzeichnis der Haftstätten unter dem Reichsführer-SS (1933-1945). Konzentrationslager und deren Außenkommandos sowie andere Haftstätten unter dem Reichsführer-SS in Deutschland und deutsch besetzten Gebieten, Arolsen 1979.

[4] Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos gemäß § 42 Abs. 2 BEG, in: Bundesgesetzblatt I (1977), S. 1786-1852; Änderung und Ergänzung des Verzeichnisses der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos gemäß § 42 Abs. 2 BEG, in: Bundesgesetzblatt I (1982), S. 1571-1579.

[5] Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.):Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 9 Bände. München 2005-2009.

Sie können die Datenbank nach Ortsnamen durchsuchen.

Das Zeichen "*" dient als Platzhalter für beliebige Zeichen. Z.B.: "Be*ec" findet "Bełżec". Die Anführungsstriche sind nicht mit einzugeben.